Alicja Kwade
Sammlung Boros
22.10.2011–08.01.2012

kwade portrait

 
Intro    Ausstellungsansichten


In ihren Skulpturen, Installationen und Fotografien greift die Bildhauerin Alicja Kwade (geboren 1979 in Katowice) bestechend spielerisch kunstgeschichtliche Traditionen, naturwissenschaftliche Theorien und soziologische Fragen auf. Damit berührt sie sowohl aktuelle gesellschaftliche und kulturelle als auch politische und ökonomische Themen. Kwade verändert und manipuliert die physische Beschaffenheit von Materialen. Dadurch evoziert sie Überraschungseffekte, die unsere Erfahrungswerte und Erwartungshaltungen offenbaren und unsere Sehgewohnheiten irritieren.

Die Umgestaltung einfachster Objekte aus dem Alltag mittels aufwendiger Verfahren zu scheinbar luxuriösen Artefakten zeigt unser Werteverständnis von Materialien, Gegenständen und Ideen.

Die oftmals irrationale Zuschreibung und Wahrnehmung basiert auf kulturellen Mustern, Konventionen und Kodierungen, die Kwade mit ihrem ›Zuwiderhandeln‹ hinterfragt. »Mich interessieren gerade jene Dinge und Phänomene, die man nicht in der Lage ist, zu verstehen [...] es geht um das Abstrakte, Absurde, nicht Erklär- und Erlebbare, was aber trotzdem immer präsent ist [...]«. [1]

Mit den verwendeten Materialien, Fundstücken und Designobjekten schöpft sie auch aus dem Formen- und Ideenreichtum der Kunstgeschichte: Sie streift den Kosmos eines Marcel Duchamp mit seiner Idee des Readymades. Schmelzende Gegenstände und die Aufhebung physikalischer Eigenschaften lassen an Salvador Dalí und René Magritte erinnern. Aber auch Donald Judd und Robert Morris liegen nahe, wenn man die klaren und minimalistischen Skulpturen Alicja Kwades betrachtet. Für diese prozesshafte Weiterentwicklung plädierend, wirkt Kwade den Aspekten des Musealen und des Erhaltens entgegen und berührt auch hier eine grundlegende Fragestellung im aktuellen Kunstbetrieb mit seinen Institutionen.

Ebenso wie Kwade jegliche kunsthistorischen Bezüge eher als unbewusst einfließend bezeichnet, möchte sie auch nicht auf einen ausschließlich naturwissenschaftlichen und philosophischen oder kulturwissenschaftlichen Ansatz in ihrer Arbeit reduziert werden. Es sind eher Bausteine, derer sie sich bedient, um die Identität von Dingen und ihre relative Bedeutung zu untersuchen.

»Kohle (Rekord)« (2006) bietet hierfür einen wunderbar komplexen Beleg: Kwade nimmt handelsübliche Kohle und fertigt davon einen Bronzeguss an, umhüllt die einzelnen Briketts mit Blattgold und positioniert diesen ‚Goldbarren‘-Block auf einem Sockel. Auch hier ist es wieder der entstellte Materialkodex, der darüber hinaus durch das Wortspiel auch auf das immanente Werteverständnis verweist – sowohl auf monetärer als auch auf ideeller Ebene. Hinzu kommen die mit dem künstlerischen Schaffensprozess einhergehende (Wert-) Wandlung und die komplexe, oft unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbare Wertzuschreibung von Kunst.

Kuratorin:
Isabel Meixner


[1] Alicja Kwade in einem E-Mail-Gespräch mit Katja Schroeder: Veit Görner, Kathrin Meyer, Kestnergesellschaft, Hannover, Katja Schroeder, Westfälischer Kunstverein, Münster (Hg.): „Das Absurde und das Irreale oder Wie die Realität noch funktionieren könnte“, in:, Westfälischer Kunstverein, Distanz, Berlin, 2010, o. S.