Stefano Cagol
und Leonida De Filippi

Werke aus dem MART, Museo di Arte Moderna
e Contemporanea di Trento e Rovereto,
Fondazione VAF
25.07.–14.10.2012

stefano cagol

De Filippi

 
Intro    Ausstellungsansichten

Der Begriff des Historienbildes erfuhr im 20. Jahrhundert eine beträchtliche Erweiterung. Zu den Historienbildern werden solche Werke gezählt, in denen Künstler sich mit gesellschaftsrelevanten oder politischen Themen sowie aktuellen Ereignissen auseinandersetzen, unter anderem mit Kriegen, sozialen Protestbewegungen, Terrorismus, Revolutionen, sozialen Umbrüchen usw. Zum einen griffen Künstler immer mehr auf die Ausdrucksmittel der abstrakten Malerei zurück, um militärische Konflikte und brisante gesellschaftspolitische Ereignisse zu thematisieren. Zum anderen stehen vor allem seit den 1960er-Jahren die Bearbeitung des medial vermittelten Bildes von Geschichte und die Reaktion auf das Bild von historischen Ereignissen in den elektronischen Massenmedien im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzungen. Unter anderem haben Künstler wie Hans Richter, George Grosz, Pablo Picasso, K.R.H. Sonderborg, Anselm Kiefer, Mark Lombardi, On Kawara, Hanne Darboven oder Gerhard Richter die Entwicklung des Historienbildes im 20. Jahrhundert geprägt und unterschiedliche formale Bildstrukturen geschaffen.

Auch für die Malerei von Leonida De Filippi (*1969, Mailand) bilden internationale soziopolitische Ereignisse die Ausgangsbasis. Seit den 1990er-Jahren verarbeitet er in seiner Kunst Bilder von Kriegsszenen aus dem Irak, Afghanistan und aktuell der Ereignisse des Arabischen Frühlings, die er den Medien entnimmt. Wie die Titel seiner Arbeiten bereits besagen, werden in History die Ereignisse malerisch analysiert, die zur Geschichte gehören werden. Keep Shooting ist eine nüchterne Narration über den Krieg, der durch die Medien in unser Leben eindringt. Kampfeinsätze, Hubschrauber, Soldaten bei der Befehlsausführung sind auf seinen Bildern zu sehen.

Leonida De Filippis Arbeiten wirken auf den ersten Blick wie Fotografien und rufen zunächst eine visuelle Irritation beim Betrachter hervor. In der Tat handelt es sich nämlich um Bilder im klassischen Medium der Malerei. Zuerst vergrößert De Filippi seine Bildvorlagen mit Hilfe von Reprotechniken, sodass er entweder eine sehr grobe Auflösung der Bilder in Pixel, Punktraster oder horizontale Zeilen erhält, die er dann auf seine Gemälde überträgt. Bereits bei diesem Bearbeitungsschritt werden Halbtöne ausgeschlossen, wodurch ein starker Kontrasteffekt, grafische Genauigkeit und visuelle Anspannung erzielt werden. Durch dieses Verfahren entstehen halbabstrakt wirkende Bilder. De Filippi exponiert fehlende Pixel und Bildzeilen als Leerstellen und weist so auf einen Informationsverlust hin, der schon in der Bildvorlage vorhanden ist, aber sonst nicht wahrgenommen wird. Indem De Filippi Fotografien oder Fernsehbilder in die Malerei überträgt und dabei die in der Regel verborgenen medialen Spuren sichtbar macht, ermöglicht er eine Reflexion über diese Medien, die trotz des Wissens um ihre Manipulierbarkeit ihren dokumentarischen Charakter und ihre Beweiskraft nie verloren haben. Durch die Überkreuzung zweier Medien stellt er das Verhältnis von immer noch als authentisch geltender Fotografie und Malerei und damit auch das Reale als solches zur Diskussion. Die Bilder erzeugen so einen surrealen Eindruck der Vermischung von Realität und Virtualität.

Die gleiche Ununterscheidbarkeit zwischen Realität und Virtualität begegnet uns in der zeitgenössischen Berichterstattung über den Krieg. Als „simulierten Nicht-Krieg“, der auf der „strategischen Bühne des Fernsehschirms“ ausgetragen werde, bezeichnete Jean Baudrillard bereits 1991 den ersten Golfkrieg kurz vor dem Beginn der Kriegshandlung. Im „postmodernen“ Krieg geht es primär um den Kampf um die besten Medienbilder. Die Opfer entrücken dabei aus dem Blickfeld. Im Medienspektakel, das durch die Flut an Bildern und Informationen erzeugt wird, wird nicht mehr die Wirklichkeit des Krieges abgebildet, sondern der mit Spezialeffekten wie in Hollywoodfilmen inszenierte Erfolg. Der ferngesteuerte Krieg per Knopfdruck versetzt die Kriegsführenden in die Situation eines Videospiels, in dem sich die Realität von den virtuellen Welten nicht mehr unterscheidet. Das virtuelle Live-Bild ist somit für die moderne Kriegsführung selbst unverzichtbar geworden, etwa für die Aufklärung und die GPS-Steuerung von smart bombs und Drohnen, was Paul Virilio in seinen Essay Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung bereits 1984 voraussagte.[1] Der Wandel zum digitalen und virtuellen Bild geht daher auch mit einer Angst vor einem Kontrollverlust über die computergestützte Wahrnehmung einher.

In der Videoinstallation „Vampa“ von Stefano Cagol (*1969, Trient) begegnet uns das gleiche irritierende Gefühl. Der Künstler legt seinem Werk das Bild der US-amerikanischen Flagge zugrunde. Kaum ein anderes nationales Symbol ist in der westlichen Welt so präsent und mit so unterschiedlichen Bedeutungen verknüpft. Für die einen steht die Flagge immer noch für den amerikanischen Traum, Freiheit, Demokratie und den Kampf gegen fundamentalistischen Terror. Für die anderen ist sie Sinnbild für eine Vielzahl kriegerischer Handlungen der letzten Jahrzehnte und den kapitalistischen Imperialismus. In seinem Video spiegelt Cagol das virtuell manipulierte Bild der wehenden Flagge, die so immer neue ikonische, mitunter anthropomorphe, Formen annimmt. Es werden Assoziationen an Vampire, Masken, Blumen, Fledermäuse, Wappen und Kampfflugzeuge geweckt. Dabei tritt Phantasie und Gedankenspiel wie beim Rorschach-Test anstelle des festen Glaubens an die Staatsymbolik. Cagol demonstriert damit wie ein Symbol für Freiheit und Demokratie in einem anderen abstrahierten Kontext für Gewalt und Krieg stehen kann. Diese Ambiguität der Zeichen führt er auch mit dem Schriftzug Vampa weiter, der Flamme bedeutet, aber auch an Vampir und Vamp denken lässt, und auf die Transformation der Zeichen und Bilder anspielt. Es ist kein Zufall, dass eine der ersten Versionen des Videos „Lies“ hieß.

An dieser Stelle kann an die Empfehlung von Jean Baudrillard erinnert werden: „Man muss der Wahrscheinlichkeit jedes Bildes, jeder Information widerstehen. Seid virtueller als die Ereignisse selbst, versucht nicht, die Wahrheit wieder herzustellen – uns fehlen die Mittel dazu; aber lasst euch nicht hereinlegen...“ [2]

Kuratorinnen: Idis Hartmann, Daria Mille

[1] Paul Virilio, Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung, München, 1986.
[2] Jean Baudrillard am 29.03.1991, in: Les cibles de Baudrillard dans «Liberation»,
in: http://www.liberation.fr/evenement/010195957-les-cibles-de-baudrillard-dans-liberation (Abfrage vom 12.07.2012)