Michael Beutler
Sammlung Grässlin
14.03.–13.05.2012

beutler portrait

© Foto: Sunah Choi, 2011
 
Intro    Ausstellungsansichten

Der Künstler Michael Beutler (*1976 in Oldenburg) arbeitet installativ und ausgehend von der jeweiligen Ausstellungssituation. Das kann in den Innenräumen einer Kunstinstitution sein oder innerhalb urbaner Landschaften. Das raumfüllende Format seiner Installationen bezieht sich jeweils auf die Architektur, tritt mit ihr in Dialog oder transformiert sie. Im ZKM | Museum für Neue Kunst hat der Künstler »A-frame« (2007) aufgebaut – einen dreieckigen skulpturalen Raum, dessen Wände aus Papierwaben bestehen. Der Ausstellungsraum verliert durch diesen Eingriff seinen strengen Charakter und wird zu einem bunten Gemisch kaleidoskopisch flimmernder Farben. Auch der Umgang des Künstlers mit den BesucherInnen ist ungewöhnlich: Sie stehen seinem Kunstwerk nicht als Außenbeobachter gegenüber, sondern werden Teil des räumlichen Arrangements.

Die Struktur des »A-frame« assoziiert eine gleichnamige Baukonstruktion, die in den USA der Nachkriegsperiode ihren Boom im privaten Baugewerbe erlebte. Die vom Dachfirst bis zum Boden reichenden Dachschrägen funktionieren gleichzeitig als Wände, was den kostengünstigen Bau aus vorgefertigten Teilen ermöglicht. Dank der Einfachheit des auf dem Do-It-Yourself-Prinzip basierenden Aufbaus, der Bequemlichkeit und der erschwinglichen Materialien wurde der A-frame in den 1950er- und 1960er-Jahren zum beliebtesten ›Leisure House‹ der US-Amerikaner. Der aus dem Gedankengut der architektonischen Moderne abgeleitete A-frame steht wiederum in der Tradition japanischer, polynesischer und auch europäischer Prototypen.

Die Kunst Michael Beutlers speist ihre Inspiration aus der Formensprache der künstlerischen Avantgarden und aus den Arbeitsverfahren der präindustriellen Epoche. Die reduzierte Form des gleichseitigen Dreiecks, die Farbgestaltung und der Einsatz von einfachen Baustoffen (Papier, Aluminium, Pressspanplatten, Leim, Pappe, Kabelbinder usw.) rufen Werke der geometrischen Abstraktion und der ›armen‹ Materialästhetik der 1920er- und 1960er-Jahre als auch der Minimal Art in Erinnerung, wobei die Reaktion auf die Ausstellungssituation eher in der Tradition von Künstlern wie etwa Daniel Buren steht. Andererseits ist für Beutler die handwerkliche Entstehung seiner Arbeiten durch Mitwirkung mehrerer engagierter Helfer und Freunde, die ihre Individualität in die Arbeit einfließen lassen, sowie ihre ›Gemachtheit‹ sehr wichtig. Diese Position hätte durchaus auch von den Befürwortern der handwerklichen künstlerischen Arbeitsweise aus der Arts-and-Crafts-Bewegung, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der industriellen Massenfertigung widersetzte, unterstützt werden können. An die Atmosphäre der temporären Werkstatt, in der die Mitarbeiter der Berliner Galerie von Beutler und befreundete Helfer bei der Entstehung von »A-frame« mitgewirkt haben, erinnern im Innenraum des ›Zeltes‹ ein übrig gebliebener Stützpfeiler und zwei Tische. Dies sind die Arbeitsvorrichtungen für die Herstellung von Papierwaben für »A-frame«. An einem der Tische können zwei Personen gleich große Papierwaben herstellen. Am zweiten Tisch können mithilfe von einem Schablonensystem Waben in unterschiedlicher Größe produziert werden.

Die vom Künstler selbst entwickelten und archaisch anmutenden mechanischen Herstellungsapparate, die zum Falten, Stanzen, Kräuseln, Rollen, Schneiden usw. eingesetzt werden, gehören meistens zum Werk und werden mitausgestellt. Über sein Interesse am Entstehungsprozess sagt der Künstler: »Ich mache keine Performances, da mich das Produkt von Arbeit interessiert, wobei in dem Produkt auch die Arbeitsatmosphäre eingeschrieben ist. Diese wäre eine andere, würde ein Publikum den Prozess beobachten. Das, was entsteht, wenn ein paar Leute für sich und miteinander zusammen basteln, sich dabei vielleicht Geschichten vom Vortag erzählen, ist mir wichtiger, als dass jemand sehen kann, wie so ein Produktionsprozess mit jener Mangel oder jener Presse aussieht.«[1]

Kuratorin:
Daria Mille

[1] Michael Beutler im Gespräch, Karlsruhe, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie, 06.03.2012.